Einkaufslust oder Einkaufsfrust

Wie Emotionen unsere Entscheidungen beeinflussen

Menschen, die Elliot kannten, beschrieben ihn als freundlich, interessiert und sehr charmant. Er verhielt sich anderen gegenüber äußerst respektvoll und diplomatisch. Und Elliot war vernünftig und intelligent: Sein Intelligenzquotient lag im oberen Bereich. Konfrontierte man ihn mit außergewöhnlichen Problemen, entwickelte er schnell eine Vielzahl logischer und kluger Lösungsmöglichkeiten. Und dennoch hatte Elliot ein großes Problem: Der körperlich gesunde, intelligente junge Mann hatte ein Entscheidungsproblem: Zwar konnte er alle möglichen Entscheidungsalternativen beschreiben und deren Vor- und Nachteile aufzählen. Sich dann aber für eine Alternative zu entscheiden war für ihn praktisch nicht möglich. Sein Problem: Ein Tumor hatte wichtige Teile des Gehirns in Mitleidenschaft gezogen. Daraus resultierte ein Mangel an Gefühlen und Empfindung. Kurzum: Elliot empfand keine Emotionen – und deshalb konnte er keine Entscheidungen mehr treffen. Emotionen geben uns nämlich Hinweise darauf, welche Alternativen positive und welche negative Konsequenzen nach sich ziehen könnten. Damasio (2006) nennt diese Empfindung „somatische Marker“, die Alltagssprache kennt sie als „Bauchgefühl“.

Der Fall Elliot wird sehr anschaulich von Antonio Damasio (2006) in seinem Buch „Descartes‘ Error“ beschrieben. Nun fällt der Einfluss der Emotionen auf unsere Entscheidungen nicht nur in solch extremen Fällen wie Elliot auf, den das Fehlen der Gefühle praktisch vollkommen entscheidungsunfähig gemacht hatte. Auch bei unseren alltäglichen Kaufentscheidungen werden wir von Emotionen beeinflusst, ob wir es merken oder nicht. Dabei nehmen Emotionen auf unterschiedlichste Weise Einfluss auf unsere Kaufentscheidungen: Fühlen wir uns schlecht, sind wir kritischer und achten auf mehr Details. In diesen Situationen hinterfragen Kunden die Produktversprechen auf der Verpackung genau, achten auf versteckte Versuche, sie zu manipulieren und suchen stärker nach Details und Informationen, um ihre Kaufentscheidung zu treffen. Insgesamt tendieren Menschen in dieser Situation außerdem dazu, die angebotenen Produkte und Leistungen schlechter zu bewerten. Das trifft dann zwar auf alle Marken zu, kann aber dazu führen, dass die entsprechenden Kunden den Kauf abbrechen und lieber gar nichts kaufen. Anders in Gelegenheiten, in denen wir uns wohl fühlen: Hier lassen wir uns von Farben, der Musik oder der freundlichen Verkäuferin leiten. Statt den detaillierten Informationen wie den Kalorienangaben auf der Verpackung Aufmerksamkeit zu schenken, wählen wir die Produkte lieber nach dem Aussehen oder unseren Erinnerungen an diese Produkte aus. Solche Erinnerungen können natürlich vorherige Produkterlebnisse, aber auch der Werbespot sein, den wir letztens im Fernsehen gesehen haben.

Zusätzlich beeinflussen Emotionen die Erinnerungen an bestimmte Gedächtnisinhalte. So speichert unser Gehirn zu den vielen Situationen nicht nur das ab, was passiert ist, sondern auch wie wir uns fühlen. Sind wir dann im Laden, fallen uns vor allem diese Erlebnisse wieder ein, die auf die entsprechende Situation passen. Auf diese Weise hilft uns unser Gehirn, Strategien zu finden, die der Situation angemessen sind. Das kann dazu führen, dass wir uns zum Beispiel in traurigen Situationen an die fast vergessene Eismarke erinnern, die wir früher von unserer Mutter immer dann bekommen haben, wenn wir in unserer Kindheit traurig waren.

Dabei sind uns die Einflüsse der Emotionen nicht unbedingt bewusst: Ein amerikanisches Forscherteam um Garg  et al. (2007) untersuchte zum Beispiel den Einfluss von Trauer und Freude auf unser Konsumverhalten. Nachdem sie dazu ihre Probanden in eine entsprechende Emotion versetzt hatten, beobachteten sie, dass die traurigen Probanden eher zu Lebensmitteln mit einer hedonischen Qualität (wie bspw. Schokolade oder gebuttertes Popcorn) greifen als glückliche Menschen. Diese aßen hingegen lieber Rosinen. Den meisten Probanden war es dabei gar nicht bewusst, dass sich ihre Emotion auf ihre Auswahl ausgewirkt hatte.

Die beiden amerikanischen Forscher Donovan und Rossiter (1982) untersuchten schon Anfang der 1980er Jahre den Einfluss der Emotionen während des Ladenbesuchs auf das Kaufverhalten: Ihre Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, dass Kunden, die während des Einkaufs positive Emotionen erleben, mehr Geld ausgeben, länger im Geschäft bleiben und dabei vermehrt auch im Angebot stöbern, eher in Kontakt mit dem Verkaufspersonal treten sowie das ganze Geschäft positiver beurteilen als Kunden, die negative Emotionen im selben Geschäft erleben. Andere Forscher ergänzen die Wirkungen der Emotionen in der Ladenumwelt: Positive Emotionen führen demnach zu mehr Impulskäufen, zu höheren Preisbereitschaften und zu höheren Bonsummen. Kaufaktübergreifend scheinen Emotionen die Intention etwas in Zukunft zu kaufen stärker zu beeinflussen als die kognitiven Überzeugungen der Konsumenten (Martin/O’Neill/Hubbard/Plamer 2008). Emotionen haben vor allem dann große Bedeutung für die Kaufentscheidung, wenn die Produkte insbesondere einen sozialen Wert besitzen (wie Kleidung oder Autos), alltägliche Dinge gekauft werden oder der Kauf unter Zeitdruck abläuft (wie zum Beispiel bei Online-Auktionen, zeitlich begrenzten Sonderangeboten oder knappen Gütern).

Dabei können sowohl Händler als auch Hersteller Einfluss auf die Emotionen der Kunden am Point of Sale  nehmen. Lou Turley und Ronald Milliman (2000) haben beispielsweise in einem Artikel vier Bereiche aufgezeigt, in denen Händler die Kundenemotionen während des Einkaufs beeinflussen können: Dabei handelt es sich um Faktoren der äußeren Gebäudegestaltung (bspw. Farbe des Gebäudes, Parkmöglichkeiten und Schaufensterdekoration), Faktoren der generellen Ladenatmosphäre (bspw. Düfte, Musik und Temperatur), Faktoren des Ladendesigns (bspw. Breite der Gänge, Anordnung und Gruppierung der Waren und Kassenstandorte) sowie Faktoren der Flächendekoration (bspw. Aufsteller, Plakate und Preisschilder). Aber auch Hersteller können Einfluss auf das Einkaufserlebnis nehmen. Ihnen bieten sich vor allem zwei Wege: Zum einen können Maßnahmen der PoS-Kommunikation (wie bspw. Aufsteller, Plakate, Regalstopper) positive, aber auch negative Empfindungen auslösen. Zum anderen sind es vor allem Produktverpackungen, die in der Lage sind, das emotionale Erleben der Kunden im Laden zu beeinflussen.

Quellen:

  • Damasio, Antonio (2004). Descartes’ Irrtum: Fühlen, Denken und das menschliche Gehirn, München.
  • Donovan, Robert/Rossiter, John (1982). Store Atmosphere – an Environmental Psychology Approach, in: Journal of Retailin, 58, 1, 34-57.
  • Garg, Nitika/Wansin, Brian/Inman, Jeffrey J. (2007). The Influence of Incidental Affect on Consumers’ Food Intake, in: Journal of Marketing, 71, 1, 194-206.
  • Gröppel-Klein, Andrea/Baun, Dorothea (2001). The Role of Customers’ Arousal for Retail Stores—Results from an Experimental Pilot Study Using Electrodermal Activity as Indicator, in: Advances in consumer research, 28,412-419.
  • Marc Hassenzahl (2004). Emotions can be quite ephemeral. We cannot design them, in: interactions, 10/2004, 46-48.
  • Lerner, Jennifer S./Keltner, Dacher (2000). Beyond Valence: Toward a Model of Emotion-Specific Influences on Judgement and Choice, in: Cognition & Emotion, 14, 4, 473-493.
  • Martin/O’Neill/Hubbard/Plamer (2008): Martin, David, O’Neill, Martin, Hubbard, Susan & Palmer, Adrian: The Role of Emotions in Explaining Consumer Satisfaction and Future Behavioral Intention, in: Journal of Services Marketing, 22, 3, 224-236.
  • Mehrabian, Albert/Russell, James (1974). An Approach to Environmental Psychology, Cambridge, MA.Turley, Lou W./Milliman, Ronald E. (2000). Atmospheric Effects on Shopping Behavior a Review of the Experimental Evidence, in: Journal of Business Research, 49, 2, 193-211.

Autor: Gunnar Mau, SHOPPERMETRICS GmbH & Co. KG

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